Möglichkeiten und Grenzen des Krafttrainings bei neurologischen Erkrankungen
Störungen und Erkrankungen des zentralen Nervensystems können Beeinträchtigungen funktionell wichtiger Muskelgruppen verursachen. Diese Erkrankungen können ein breites Spektrum an Symptomen aufweisen – von schlaffen Paresen oder Lähmungen mit geringem Muskeltonus bis hin zur klinisch ausgeprägten Spastik mit erhöhtem Tonus und Reflexen. Patienten mit Parkinson-Krankheit leiden oft an Bewegungsarmut, der sogenannten Rigidität, die wiederum das Ergebnis einer gleichzeitigen Erhöhung des Tonus von Agonisten- und Antagonistenmuskeln ist. Allen diesen Phänomenen gemeinsam ist die Verringerung der Fähigkeit der Muskeln zur Kraftentwicklung, wodurch unabhängig von der Lage dieser Muskeln Schwierigkeiten beim Gehen und Haltungskontrolle oder Einschränkungen der Handfunktionen auftreten. Dabei entsteht bei den Betroffenen ein unangenehmes Gefühl des Kontrollverlustes und zusätzlich erschwert es die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Da diese Erkrankungen zu hohen Kosten im Gesundheitssystem führen, widmet sich die Wissenschaft in den letzten Jahren verstärkt der motorischen Rehabilitation neurologischer Patienten.
Krafttraining bei neurologischen Erkrankungen
Bei der Behandlung der oben beschriebenen Formen der Muskelschwäche gilt das gezielte Krafttraining als Hauptmaßnahme. Muskelstärkende Übungen in geringem Umfang und mit mäßiger Intensität werden bei der Behandlung neurologischer Patienten schon seit vielen Jahren eingesetzt. In der Neurorehabilitation muss die Therapie jedoch streng an den Krankheitssymptomen ausgerichtet werden. Aus diesem Grund bestand lange Zeit, vor allem bei spastischen Paresen, die Befürchtung, dass ein intensives Krafttraining einen zusätzlichen Faktor für die Erhöhung des Muskeltonus darstellen könnte. Auch wurde angenommen, dass nach dem Training Schmerzen, z.B. in den sensiblen Schultergelenken, auftreten könnten. Zahlreiche in jüngster Zeit durchgeführte Untersuchungen haben diese Annahmen jedoch widerlegt, wie in aktuellen Übersichtsartikeln dargestellt wird.
Eine Vielzahl von Forschern befasst sich derzeit mit diesem Thema. So gibt es Hinweise darauf, dass Krafttraining für Patienten mit leichten bis mittelgradigen Paresen der oberen Extremität nützlich sein kann. Dies zeigt sich in einer Verbesserung der Greifkraft, was bei der Einschätzung der Behinderung berücksichtigt wird und als prognostischer Faktor für die Mortalität im entsprechenden Alter gilt. Ein positiver Einfluss des Krafttrainings auf die Ausführung von Alltagsaktivitäten konnte bislang jedoch nicht nachgewiesen werden. Auch das Krafttraining der unteren Extremitäten kann effektiv sein, wobei eine Erhöhung der Gehgeschwindigkeit als Funktionsverbesserung gelten kann. Eine verbesserte Gehfähigkeit führt zu einer gesteigerten Selbsteinschätzung und Lebensqualität. Weder an den oberen noch an den unteren Extremitäten kam es entgegen früheren Befürchtungen durch das Krafttraining zu einer Erhöhung des Muskeltonus.
Eine charakteristische Bewegungsstörung bei Parkinson-Krankheit ist die Gangstörung. Der Oberkörper ist dabei meist nach vorn geneigt, die Armbewegungen sind eingeschränkt und die Schritte werden kürzer. Durch Training der geschwächten Beinmuskulatur lässt sich die Muskelmasse erhöhen, die Kraft steigern und damit die Bewegungsfähigkeit des Patienten bis zu einem gewissen Grad verbessern und die Symptome abmildern. Besonders effektiv erwies sich dabei das exzentrische Krafttraining. Darüber hinaus hatte dieses Training keine negativen Auswirkungen auf die Symptome der Erkrankung. Allgemeine Empfehlungen zur Behandlung der Parkinson-Symptome durch Krafttraining gibt es bislang jedoch nicht.
Eine Besonderheit der Multiplen Sklerose ist je nach Form der Erkrankung der schubweise Verlauf der Symptome. Viele Patienten leiden außerdem unter chronischer Ermüdung und erhöhter Temperatur- und Belastungsempfindlichkeit. Aus Angst, dass eine intensive Belastung einen erneuten Schub auslösen könnte, wurde bislang von einem Krafttraining abgeraten.
Neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass bei Patienten mit mittelgradiger Multipler Sklerose sehr wohl ein intensives Krafttraining möglich ist. Dabei ließ sich eine Verbesserung der Muskelkraft, des Muskelwachstums und des Gehvermögens erzielen. Neben den positiven Auswirkungen auf die motorischen Funktionen wurde auch eine Reduktion des ständigen Ermüdungsgefühls und eine Verbesserung der Stimmung sowie der Lebensqualität der Patienten beobachtet. In Langzeitbeobachtungen konnte zudem ein Andauern dieser Effekte nachgewiesen werden. Zusätzlich zum Muskelwachstum zeigte sich bei MS-Patienten im Rahmen des Maximalkrafttrainings auch eine Verbesserung der neuronalen Steuerung. Schwerwiegende Nebenwirkungen des intensiven Krafttrainings wurden in dieser Patientengruppe nicht festgestellt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei keiner der oben genannten Erkrankungen eine Verschlechterung der Symptome durch ein intensives Krafttraining beobachtet wurde. Die weit verbreiteten Bedenken haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, die Kraftfähigkeiten der betroffenen Patienten können sich sogar verbessern. Unklar bleibt bislang, inwieweit sich solche Trainingseffekte auf die Alltagsaktivitäten auswirken. Auch die Prinzipien der optimalen Trainingsgestaltung und die physiologischen Grundlagen der Kraftsteigerung bei neurologischen Störungen müssen noch weiter erforscht werden. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Auswirkungen des Trainings unterschiedlich zeigen können, etwa in Form von Muskelhypertrophie oder Anpassungen im neuronalenSteuerungssystem. Solche Phänomene gilt es detaillierter zu untersuchen, wobei die Spezifität der Erkrankung und die unterschiedlichen Trainingsinhalte berücksichtigt werden müssen. Leider sind die Stichprobengrößen in den vorliegenden klinischen Studien sehr klein, so dass eine Verallgemeinerung der Ergebnisse nicht zulässig ist. Aus dieser Perspektive bedarf es einer Optimierung des Studiendesigns für zukünftige Forschungsarbeiten.
Insgesamt stellt das intensive Krafttraining heute einen vielversprechenden Ansatz dar, der insbesondere in Kombination mit funktionellem Training als Ergänzung zu den gängigen therapeutischen Maßnahmen eingesetzt werden kann.
Häufig gestellte Fragen
Was ist Neurorehabilitation?
Neurorehabilitation ist ein Behandlungsansatz, der darauf abzielt, Funktionseinschränkungen infolge von Erkrankungen oder Verletzungen des Nervensystems zu verringern und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu verbessern.
Welche Ziele verfolgt die Neurorehabilitation?
Ziele der Neurorehabilitation sind die Verbesserung der motorischen, kognitiven und psychischen Fähigkeiten sowie die Steigerung der Selbstständigkeit und Lebensqualität der Betroffenen.
Welche Methoden kommen in der Neurorehabilitation zum Einsatz?
Zu den Methoden der Neurorehabilitation gehören unter anderem Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Neuropsychologie und medikamentöse Therapien. Ein wichtiger Bestandteil ist auch der Einsatz von Hilfsmitteln.
Welche Erkrankungen werden in der Neurorehabilitation behandelt?
Neurorehabilitation findet Anwendung bei einer Vielzahl von Erkrankungen und Verletzungen des Nervensystems, wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Multipler Sklerose, Parkinson-Krankheit oder Rückenmarksverletzungen.
Wie kann Krafttraining in der Neurorehabilitation eingesetzt werden?
Krafttraining kann in der Neurorehabilitation bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Multipler Sklerose oder Parkinson-Krankheit eingesetzt werden, um die Muskelkraft zu verbessern und die Funktionalität zu steigern.