Präparate, die den Mitoseprozess stören

Vincaalkaloide

Historische Hintergründe: In der Volksheilkunde verschiedener Länder werden die heilenden Eigenschaften des Rosenwindröschen (Catharanthus roseus, ehemals Vinca rosea) aus der Familie der Hundsgiftgewächse beschrieben. Extrakte des Rosenwindröschen wurden als blutzuckersenkende Mittel getestet, wobei jedoch Leukopenie und Knochenmarksaplasie bei Ratten beobachtet wurden. Diese Beobachtung führte zur Isolierung des aktiven Alkaloids (Noble et al., 1958). Andere Forscher entdeckten die heilende Wirkung von Rosenwindröschen-Extrakten bei akuter Leukämie bei Ratten. Aus diesen Extrakten wurden die dimeren Alkaloide Vinblastin, Vincristin, Vinleurosin und Vinrosidin isoliert. Zwei davon – Vinblastin und Vincristin – spielen heute eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Leukämien, Lymphomen und Hodentumoren. Das halbsynthetische Präparat Vinorelbin wird bei Lungen- und Brustkrebs eingesetzt (Budman, 1997).

Struktur-Wirkungs-Beziehung: Die Vincaalkaloide Vinblastin, Vincristin, Vindesin und Vinorelbin sind asymmetrische dimere Verbindungen, die den Mitoseprozess stören. Kleine Strukturänderungen führen zu deutlichen Unterschieden im Spektrum der antitumoralen Aktivität und Toxizität. Einige ähnliche dimere Alkaloide besitzen keine biologische Aktivität. Entfernung der Acetylgruppe am C-4-Atom oder Acetylierung der Hydroxylgruppen führen zum Verlust der Aktivität von Vinblastin bei Leukämien; Reduktion der Doppelbindungen und Seitenketten verringert die biologische Aktivität der Vincaalkaloide drastisch.

Wirkmechanismus: Die Vincaalkaloide wirken auf sich teilende Zellen und blockieren die Mitose ähnlich wie Colchicin, Podophyllotoxin und Taxane. Dieser Effekt beruht auf der Bindung der Präparate an β-Tubulinen und der Störung der Polymerisation von α- und β-Tubulinen zu Mikrotubuli. Bei Inkubation von Zellen mit Vinblastin beobachtet man das Auflösen der Mikrotubuli und die Bildung kristalliner Strukturen, die Tubulinen und Vinblastin im molaren Verhältnis 1:1 enthalten. Durch die Zerstörung der Mitosespindel-Mikrotubuli kommt die Zellteilung in der Metaphase zum Erhalten. Dabei verteilen sich die Chromosomen chaotisch im Zytoplasma oder sammeln sich in ungewöhnlichen Strukturen wie Kugeln oder Sterne. Vermutlich führt die fehlerhafte Chromosomenverteilung bei der Mitose zum Zelltod. Sowohl in Tumor- als auch in normalen Zellen beobachtet man in Gegenwart der Vincaalkaloide Veränderungen, die für Apoptose charakteristisch sind (Smets, 1994).

Neben der Zellteilung sind Mikrotubuli auch für Zellbewegung, Phagozytose und axonalen Transport notwendig. Nebenwirkungen der Vincaalkaloide wie Neuropathie sind mit der Störung dieser Prozesse verbunden.

Die Vincaalkaloide besitzen eine starke und selektive antitumorale Wirkung, unterscheiden sich jedoch erheblich in ihrer Wirkung auf das normale Gewebe. Vincristin ist Teil der Standardchemotherapieschemata für Leukämien und solide Tumoren bei Kindern und wird häufig bei Lymphomen bei Erwachsenen eingesetzt. Aufgrund der geringen Unterdrückung der Blutbildung ist es für die Polychemotherapie von Leukämien und Lymphomen von großer Bedeutung. Vinblastin ist indiziert bei Hodentumoren und Lymphomen sowie als Zweitlinien-Chemotherapie bei soliden Tumoren. Das Fehlen von Neurotoxizität macht Vinblastin zu einem wertvollen Medikament bei Hodentumoren (in Kombination mit Cisplatin) und rezidivierenden Lymphomen. Vinorelbin ist wirksam bei nichtkleinzelligem Lungenkrebs und Brustkrebs; mit zunehmender Erprobung erweitern sich die Anwendungsgebiete von Vinorelbin. Vinorelbin besitzt eine geringe Neurotoxizität und eine mäßige Unterdrückung der Blutbildung.

Resistenzmechanismen: Trotz der strukturellen Ähnlichkeit verschiedener Vincaalkaloide wird keine vollständige Kreuzresistenz beobachtet. Allerdings können die Zellen nach Behandlung mit nur einem natürlichen Zytostatikum polyrésistent, d.h. unempfindlich gegenüber vielen Medikamenten unterschiedlicher Struktur, werden. Auf diese Weise entwickelt sich eine Kreuzresistenz gegenüber Vincaalkaloiden, Epipodophyllotoxinen, Taxanen und Anthrazyklinen. In Kulturen polyresistenter Zellen wurden Chromosomenveränderungen, die auf eine Amplifikation von Genen hinweisen, und eine erhöhte Expression des membranständigen P-Glykoproteins, eines Proteins, das Medikamente aktiv aus den Zellen befördert, gefunden (Endicott und Ling, 1989). Kalziumantagonisten wie Verapamil können eine solche Polyresistenz aufheben. Die Polyresistenz kann auch mit Transportproteinen der MRP-Familie (Multidrug Resistance-associated Protein) in Verbindung stehen (Kuss et al., 1994). Schließlich können Mutationen, die zu einer gestörten Bindung von Vinblastin an β-Tubulin führen, Resistenz gegen Vincaalkaloide verursachen.

Nebenwirkungen: Bei der Behandlung mit Vinblastin oder Vinorelbin erreicht die Leukopenie 7-10 Tage nach Gabe ihr Maximum, um dann innerhalb von 7 Tagen wieder zurückzugehen. Übliche Dosen von Vincristin (1,4-2 mg/m²) beeinflussen die Blutbildung nur wenig. Alle drei Präparate führen zu Alopezie, und bei Extravasation zu Nekrosen. Vincristin kann gelegentlich das SIADH-Syndrom auslösen.

Alle Vincaalkaloide sind neurotoxisch, wobei Vincristin einen charakteristischen kumulativen Effekt aufweist. Erste und häufigste Symptome sind Taubheit und Kribbeln in den Extremitäten sowie der Verlust von Sehnenreflexen, denen dann Muskelschwäche folgt. Sensibilitätsstörungen erfordern meist keine Dosisreduktion, bei Bewegungsstörungen muss der Wirkstoff jedoch in den meisten Fällen abgesetzt werden. Gelegentlich entwickelt sich eine Lähmung der Stimmlippen und der Augenmuskeln. Hohe Vincristin-Dosen führen zu schwerer Obstipation. Unbeabsichtigte intrathekale

Häufig gestellte Fragen

Was sind natürliche und halbsynthetische Antitumormedikamente?

Natürliche und halbsynthetische Antitumormedikamente sind Arzneimittel, die aus natürlichen Rohstoffen wie Pflanzen gewonnen oder basierend auf natürlichen Vorläufern synthetisch hergestellt werden. Sie greifen in den Zellzyklus von Krebszellen ein und hemmen so deren Wachstum.

Welche wichtigen Wirkstoffgruppen gehören dazu?

Zu den wichtigen natürlichen und halbsynthetischen Antitumormedikamenten gehören:
– Vincaalkaloide (Vinblastin, Vincristin, Vinorelbin)
– Paclitaxel
– Epipodophyllotoxine (Etoposid, Teniposid)
– Camptothecin-Derivate
– Enzyme wie Asparaginase

Wie wirken die Vincaalkaloide?

Die Vincaalkaloide stören den Mitoseprozess, indem sie an Tubuline binden und die Polymerisation zu Mikrotubuli behindern. Dadurch kommt es zum Zellzyklusarrest in der Metaphase und schließlich zum Zelltod.

Welche Besonderheiten haben die Vincaalkaloide?

Die Vincaalkaloide haben ein breites Anwendungsspektrum, aber unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf gesunde Zellen. So zeichnet sich Vincristin durch eine geringe Myelosuppression aus, was es für die Kombinationschemotherapie von Leukämien geeignet macht. Vinblastin hingegen ist weniger neurotoxisch und findet Einsatz bei Hodentumoren.

Wie kann Resistenz gegen Vincaalkaloide entstehen?

Resistenz kann durch verschiedene Mechanismen entstehen, z.B. durch Veränderungen der Tubulinfunktion, Überexpression von Transportproteinen oder Aktivierung von Reparaturmechanismen. Oft entwickelt sich dabei eine Kreuzresistenz gegenüber anderen Zytostatika.

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